Lydia Schulgina

Portrait Lydia Schulginas
(Letzter Tag im Atelier)
Künstler Nikolai Estis.
2000. Papier, Tempera. 34x28. Fragment.

Mein heutiges Leben ist ein kurzer bergang vom Licht zum Schatten. Wie jedes Leben. Eine banale Wahrheit. Aber ich möchte von banalen Wahrheiten sprechen.

Auch das Leiden ist banal. Von ihm zu sprechen ist heute fast unanständig geworden.

Besonders - in der Kunst.

Besonders - mit traditionellen Mitteln.

Die moderne Kunst ist ein bunter Karneval, dessen Teilnehmer sich streng an die  selbsterfundenen Regeln halten: jeder zieht eine Maske über und verbirgt dahinter sein Gesicht und seinen Konflikt. Jeden Tag, wenn ich mich auf die Arbeit stürze, hoffe auch ich, eine solche Maske für mich zu schaffen.

Ich werde sie anziehen und niemand wird meine Angst und meinen Schrecken sehen können. Niemand wird meinen von jener Maske gedämpften Schrei hören können: „Abba, mein Vater, nimm diesen Kelch von mir!"

Ich versuche mir die Maske anzuziehen. Und plötzlich verstehe ich: Es bleibt mir keine Zeit, an diesem Karneval teilzunehmen. Dann reiße ich die blöde Perücke ab und bleibe nackt stehen. Auch vor den Augen der Zuschauer. Ja, ich lasse mich dabei beobachten und ich schäme mich nicht, da mein Zuschauer ganz genau weiß: Für mich ist das Leiden kein banales Thema.

 

Lydia Schulgina

 

 
 

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